Auf der Bundeskonferenz 2019 wurde unser Projekt #WJdigital mit dem Bundespreis für’s beste Projekt in der Kategorie Landesengagement ausgezeichnet. Wie ich finde, ein toller Anlass, um einmal auf die letzten 19 Monate seit Projektstart zurückzublicken, Erfahrungen zu reflektieren, und auch nach vorne zu schauen, was mit dem Projekt denn noch möglich sein kann.
In einer dreiteiligen Serie will ich hier auf meinem Blog über diese Themen schreiben. Der erste Blogpost fasst zusammen, wie das Projekt entstanden ist. Im Laufe der nächsten Wochen werde ich dann in zwei weiteren Artikeln über die etwas weniger offensichtlichen Erfahrungen berichten, und auch einen Blick in die Glaskugel wagen, was wir denn mit #WJdigital in Zukunft noch so vor- oder zumindest im Sinn haben.
Die Idee zu #WJdigital entstand in einem Skype-Call mit Tom Wolter-Roessler. Tom war damals Kreissprecher der Wirtschaftsjunioren Stuttgart und ich seit etwa einem halben Jahr als Interessent im Verband dabei. Zu den Wirtschaftsjunioren kam ich mit dem simplen Interesse an Netzwerk und Austausch. Kurz vorher habe ich für mich beschlossen, meine Festanstellung zu verlassen und mich selbständig zu machen. Das war im September 2017 dann auch der Fall. Und die restliche Zeit des Jahres war ich drei Monate mit dem Rucksack in Südostasien unterwegs, bevor es 2018 mit der Selbständigkeit losgehen sollte.
Mit im Gepäck war auch ein kleines Wirtschaftsjunioren-Projekt. Das passte ganz gut, da ich auf meiner Reise auch herausfinden wollte, wie es denn wäre, unterwegs nicht nur zu surfen und am Strand zu liegen, sondern auch als digitaler Nomade von überall zu arbeiten. Beim Projekt ging es um den neuen Webauftritt der WJ Stuttgart. Wir wollten die Website auf das offizielle CMS (Content Management System) VereinOnline des Verbands umstellen. Da ich so ein ähnliches Projekt schon in meinem Sportverein vor ein paar Jahren umgesetzt habe, übernahm ich die Aufgabe.
Nach einem recht reiseaktiven Oktober in Thailand kam ich Anfang November auf Bali an und plante, dort für einen Monat zu bleiben und etwas entspannter die Dinge anzugehen. In Canggu, einem kleines Surferort im Süden der indonesischen Insel, war ich in einem kleinen Appartement untergebracht und buchte mir auch ein Monatsticket im Dojo, einem der bekanntesten Coworking Spaces auf Bali.
Der Tagesablauf richtete sich nach dem Wellengang. Je nachdem ging’s morgens erstmal auf's Surfbrett und anschließend in den Coworking Space, oder umgekehrt. Neben der Vorbereitung meiner Selbständigkeit kümmerte ich mich währenddessen auch um die Website der Wirtschaftsjunioren Stuttgart und das Einrichten des CMS VereinOnline.
U.a. hatte ich dort auch den angesprochenen Skype-Call mit Tom, bei welchem wir uns zum Arbeitsstand im Projekt ausgetauscht haben. Im Gespräch hatte ich ihm auch noch etwas anderes mitzuteilen. Ziemlich genau zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich nämlich dazu entschlossen, meine Selbständigkeit nicht in Stuttgart sondern in Berlin zu starten, und nach meiner Reise im Januar in die Hauptstadt zu ziehen.
Schade, bei den Wirtschaftsjunioren in Stuttgart hatte ich großen Spaß in den ersten Monaten, und mit dem Umzug sollte das alles schon wieder vorbei sein? Vielleicht ja nicht, dachten wir. Inspiriert von Dutzenden digitalen Nomaden, die in dem Moment um mich herum im Coworking Space saßen, dachten Tom und ich uns, dass es im Jahr 2017 doch möglich sein müsste, auch ohne in der gleichen Stadt zu leben, am Vereinsleben teilnehmen zu können. Nur wie das aussehen sollte, war uns damals noch nicht bewusst.
Dennoch: die Idee, oder vielmehr das zu lösende Problem, an dem wir heute mit #WJdigital arbeiten, war geboren - ohne das wir auch nur den Hauch einer Ahnung hatten, was daraus werden würde.
Zurück in Deutschland und nach meinem Umzug nach Berlin haben wir die ersten Ergebnisse bei der Einführung des CMS hinter uns gebracht. Aus meiner Erfahrung vom Projekt im Sportverein war ich mir jedoch darüber bewusst, dass es einfach nur mit der technischen Infrastruktur nicht getan ist. Solche Systeme brauchen Akteure, die das Ganze mit Leben und Inhalten füllen. Wir fragten uns also, wie wir unsere neue Infrastruktur anderen Mitgliedern zeigen und sie in der Nutzung von VereinOnline schulen können. Unsere Idee dafür war es, eine Facebook-Gruppe zu gründen und dort recht schlank über Facebook-Live „Webinare“ zu Schulungszwecken zu veranstalten. Alles erstmal nur für die Stuttgarter - so war unser Plan.
Beim Kreissprechertreffen 2018 in Berlin hat Carmen, damals Landesvorsitzende in Baden-Württemberg, dann aber von unseren Plänen erfahren, und uns gebeten, das Ganze doch gleich für alle Wirtschaftsjunioren in Baden-Württemberg zu machen. Warum denn nicht, dachten wir. Ob jetzt 10 oder 50 Wirtschaftsjunioren Teil unserer Gruppe werden, macht uns ja nicht unbedingt mehr Arbeit, bestimmt aber mehr Spaß.
Soweit dazu, wie unsere Erwartungshaltung damals war.
Etwas später war es dann soweit. Recht kurzfristig wurde ich darum gebeten, bei der LSK (Landessitzung der Kreise), die Ende Februar 2018 in Sasbachwalden statt fand, unsere Idee zu präsentieren. Auch damals schon digital - da ich nicht persönlich dabei sein konnte, wurde ich per Videokonferenz zugeschaltet.
Und wenn wir schon vor einem kleinen Publikum die Gelegenheit hatten, unsere Idee zu präsentieren, war es doch eigentlich eine gute Möglichkeit, unser Vorhaben eben nicht nur zu präsentieren, sondern gleich zu starten.
Wir haben also recht kurzfristig eine Facebook-Gruppe für die Wirtschaftsjunioren Baden-Württemberg erstellt und mit ersten Infos zu unserer Idee ausgestattet. Per Videokonferenz wurde ich dann am Samstagmorgen aus Berlin zur LSK zugeschalten, durfte zehn Minuten unser Vorhaben, via Facebook VereinOnline zu schulen, erläutern und in dem Zuge auch für die Gruppe werben.
Soweit alles nach Plan. Doch was sich dann entwickelt hat, war weit mehr, als was wir erwartet oder uns auch nur vorstellen konnten.
In kurzer Zeit durfte ich als noch recht unerfahrener Wirtschaftsjunior lernen, wie schlagkräftig das Netzwerk ist. Innerhalb von nicht einmal 24 Stunden hatten wir in der neuen Facebook-Gruppe über 800 Wirtschaftsjunioren aus ganz Baden-Württemberg versammelt. Ein paar Tage später waren es über 1000.
Doch es gab ein kleines Problem. Die Idee stand zwar, aber wir hatten weder wirklich etwas vorbereitet und auch nicht wirklich einen Plan, wie das Vorhaben nun umgesetzt werden sollte. Mit VereinOnline waren wir noch nicht wirklich soweit, dass wir sofort darüber erzählen konnten.
Doch nun warteten mehr als 1000 neue Gruppenmitglieder und dieses Momentum wollten wir nicht verpuffen lassen. Wir mussten uns also was anderes einfallen lassen und improvisieren - zumindest für den Start. Vorteil war aber auch, dass sich der Start ja auch bedeutend besser entwickelte, als wir gedacht hatten. Mit 1000 Leuten waren fast die Hälfte aller Wirtschaftsjunioren aus Baden-Württemberg in der Gruppe versammelt. Perfekte Grundlage also, um nochmal grundsätzlich darüber nachzudenken, was wir tun wollen.
Innerhalb von nicht einmal 48 Stunden entstand die Idee zu dem, was #WJdigital heute geworden ist: Ein Experiment, das Verbandsleben über digitale Möglichkeiten neu zu erfinden. Wir waren also wieder bei unserer Ausgangsfrage: Was muss denn passieren, um auch von Berlin aus am Juniorenleben in Stuttgart teilnehmen zu können?
Am Sonntag nach der LSK entstand auch die Idee für die digitalen Kamingespräche, unser erstes Format auf #WJdigital. Via gestreamter Videokonferenz hatten wir bisher mehr als 40 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Verband, die ihre Geschichten und Erfahrungen live und interaktiv mit der Community geteilt haben.
Unser MVP (Minimum Viable Product) war also auch bereit. Und mit einer Idee, einem ersten Format und unserer neuen Facebook-Gruppe ging das Abenteuer los. Per Facebook Live am Montag nach Gründung der Gruppe.
19 Monate und viele Experimente später hat sich #WJdigital zu dem entwickelt, was es zumindest bis heute ist und wofür wir in Wuppertal mit dem Bundespreis ausgezeichnet wurden. Wir versammeln heute über 1600 Wirtschaftsjunioren in unserer Facebook-Gruppe, nicht nur aus Baden-Württemberg, sondern zwischenzeitlich aus allen Ecken des Landes. Und vor allem haben wir es geschafft, Formate zu entwickeln, die es ermöglichen, sich mit bis zu 1000 Mitgliedern regelmäßig über Verbandsleben, Interessen und Projekte auszutauschen und gegenseitig zu inspirieren.
Um unser Ausgangsproblem endgültig zu lösen, ist es bestimmt noch ein weiter Weg. Dennoch konnten wir schon erste Schritte dieses Weges gehen und eine hoffentlich nachhaltige Veränderung in unserem Verband anstoßen. Nicht in dem wir Altes bekämpfen, sondern indem wir Neues entwickeln und damit mehr Vielfalt und Angebot schaffen.
Einige Ideen haben grandios funktioniert, andere aber auch nicht. Und das meiste entstand, ohne es geplant oder beabsichtigt zu haben, sondern einfach nur deswegen, weil es zugelassen wurde.
Wenn ich dann und wann mal Teil einer Gremiensitzung bin, frage ich mich oft, was aus #WJdigital denn geworden wäre, hätten wir im Entstehungsprozess des Projekts den formalen Weg genommen. Aus der ursprünglichen Idee ein Konzept entwickelt, das Ergebnis dann mit vielen Annahmen vor einem Gremium vorgestellt, darüber diskutiert, um anschließend darüber abstimmen zu lassen, was denn nun zu tun wäre.
Wir haben das nie bewusst umgangen. Das ganze hat sich wie oben beschrieben einfach nur anders, iterativ und spontan von einem zum nächsten Schritt entwickelt. Und damit ist es vermutlich irgendwie durch’s Raster gefallen.
Ehrlich gesagt, glaube ich, dass das retrospektiv auch der Weg war, den das Projekt brauchte. Es führte dazu, dass nie große Erwartungen, ja vielleicht sogar hoch gesteckte Ziele, verfolgt wurden, sondern wir einfach nur eins nach dem anderen ausprobieren konnten. Und damit den Dingen Gelegenheit gaben, sich selbst zu entwickeln und erfolgreich zu werden.
Unverhofft kommt eben oft.
Ob im Kleinen im Verband, aber darüber hinaus auch im Großen in Politik und Gesellschaft: Ist es denn klug, Veränderung und Wandel über formale Prozesse gestalten zu wollen?
Gewiss benötigt eine demokratische Gemeinschaft Debatten und formale Entscheidungsprozesse, die alle einbeziehen. Doch wozu?
Können wir mit solchen Prozessen wirklich Neues gestalten und entwickeln? Oder verhindern wir damit vieles, dass erst noch entstehen will und so im Keim schon erstickt wird? Wie müssten sich politische Prozesse - im Kleinen wie im Großen - denn verändern, um Raum für Innovatives zu schaffen? Oder bleibt das allein freien Märkten und der Zivilbevölkerung vorbehalten?
Was denkst du?
Lena
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